
„Ich habe 15 von 10 Tabus gebrochen“
Der im Iran geborene Regisseur zeigt in Cannes einen Film voller Sex und Gewalt. Aber nicht nur aus Provokationswillen.

Seine Welt steht Kopf: Regisseur Ali Abbasi (41) posiert in Cannes für die Kameras.
Foto: Schlüsselstein
Der Film spielt in der heiligen Stadt Mashhad und die gesprochene Sprache ist Persisch. Und doch ist sofort klar, dass es sich nicht um eine normale iranische Produktion handeln kann. Zunächst betrachtet eine Frau ihren nackten Körper im Spiegel, ihre Brüste sind deutlich zu erkennen. Wenig später betritt ein erigiertes Mitglied die Szene.
„Holy Spider“ heißt dieser Film, der derzeit in Cannes heftig diskutiert wird. Der in Teheran geborene Regisseur Ali Abbasi wurde aufmerksam. Ursprünglich wollte ich an den Originalschauplätzen drehen. Natürlich hat er keine Erlaubnis bekommen, denn Nacktheit und Gewalt sind in iranischen Filmen tabu.
Schrecken an der Grenze
Mit 20 Jahren verließ Ali Abbasi seine alte Heimat, ließ sich in Schweden und dann in Dänemark nieder, wo er eine Filmschule besuchte. International bekannt wurde er mit dem Horrorfilm „Gräns“ (2018), in dem seltsame Dinge am Zoll passieren. Es ist ein brillantes Stück Kinematografie, das Horror geschickt mit Genre-Rollenspielen verbindet.
„Holy Spider“ handelt nun von einer Mordserie an Prostituierten, die sich vor gut 20 Jahren tatsächlich in Mashhad ereignet hat. Abbas war damals Student in Teheran, und der Gedanke an diesen Verbrecher, der 16 Frauen tötete, verfolgte ihn: “Ich habe zehn Jahre über den Film nachgedacht und es hat weitere zehn Jahre gedauert, bis er wirklich zustande kam”, sagte der Regisseur. in Cannes.

Ein Journalist (Tsar Amir-Ebrahimi) untersucht die Morde an Prostituierten und gerät in Schwierigkeiten.
Foto: Filmfestspiele von Cannes
Ali Abbasi macht deutlich, dass er keinen Serienmörderfilm machen wollte. Vielmehr geht es ihm um das Motiv des Täters, dessen Identität sich früh offenbart: Er ist ein religiöser Familienvater und Kriegsveteran. Ihre Mission: die Straßen von der „Sünde“ der Prostitution zu säubern. Sie erwischen ihn schließlich, weil sich ein Journalist so viel Mühe gibt.
Im Film sind die Morde, der Mann, der seine Opfer erwürgt, mit drastischer Deutlichkeit zu sehen. Aber noch erschreckender ist, was nach der Verhaftung folgt. Aufgrund seiner Mission im Namen des Glaubens feiern viele den Täter als Helden. Demonstranten vor dem Gefängnis fordern seine Freilassung. Selbst die Justiz scheint nicht abgeneigt zu sein, ihn gehen zu lassen.
Gedreht wurde in Jordanien.
Offiziell gibt es im Iran keine Prostitution und Diskussionen über religiösen Eifer und die Stellung von Kriegsveteranen sind nicht erlaubt. „Wenn es eine Liste der 10 größten Tabus im iranischen Kino gäbe, hätte ich 15 davon gebrochen“, sagte Ali Abbasi in Cannes. Sorgen bereitet ihm die Provokation aber nicht: “Ich möchte auf Machenschaften hinweisen, die auch in anderen Ländern auf die eine oder andere Weise stattfinden.”

Auf dem roten Teppich: Regisseur Ali Abbasi und Hauptdarstellerin Zar Amir-Ebrahimi.
Foto: Schlüsselstein
Gedreht wurde schließlich in Jordanien, teilweise mit iranischer Crew. Und man darf gespannt sein, wie der Film in Cannes von der internationalen Jury aufgenommen wird. Da ist Asghar Farhadi, eine der Schlüsselfiguren des iranischen Kinos, der ein komplexes Verhältnis zum Staat hat und abwechselnd im In- und Ausland dreht.
Reicht es für eine Palme? Ali Abbasi träumt derzeit von einem anderen roten Teppich: „Manchmal stelle ich mir vor, dass ein Wunder geschieht und mein Film und ich in Teheran willkommen geheißen werden“, sagt er. Aber “Holy Spider” kursiert, wie viele andere Filme, wohl nur heimlich im Iran.
Matthäus Lerf verfügt über langjährige Erfahrung als Kulturredakteurin in Bern und Zürich. 2008 gewann er den Prix Pathé für die beste Filmkritik.
Mehr Informationen
@MatthiasLerfEinen Fehler gefunden?Jetzt melden.